"Die besten Lösungen entstehen, wenn lokale Expertise eingebracht wird".
Seit vielen Jahren engagiert sich Ricus Jacometti für eine glaubwürdige und partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit.
Der studierte Agronom hat in Ostafrika, Zentralafrika, Südostasien und der Karibik gearbeitet und bringt heute seine Erfahrung aus der Medicor Stiftung und dem Verein Tellerrand, Mitgründer des LED, in den Stiftungsrat ein. Im Gespräch erklärt er, was ihn motiviert, welche Werte ihn leiten und wie er die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit sieht.
Herr Jacometti, was motiviert Sie, sich im Stiftungsrat des LED zu engagieren?
Meine Motivation wurzelt in meiner langjährigen Leidenschaft für die Entwicklungszusammenarbeit. Nach meinem Studium der tropischen Landwirtschaft arbeite ich seit den 1990er-Jahren in diesem Bereich und durfte wertvolle Erfahrungen in Ost- und Zentralafrika, Südostasien und der Karibik sammeln. Ich habe in diesen Regionen nicht nur gearbeitet, sondern über mehrere Jahre gelebt. Diese intensive Zeit vor Ort hat mir gezeigt, welche Aspekte für die Umsetzung von Projekten wirklich entscheidend sind.
Seit 2011 arbeite ich für die Medicor Stiftung. Diese Tätigkeit hat mir ermöglicht, die Entwicklungszusammenarbeit auch aus einer strategischen Perspektive zu betrachten. Nun möchte ich mich im LED für eine Strategie engagieren, die zu einer gerechteren Welt beiträgt – mit fundierten, partnerschaftlichen Ansätzen.
Der Verein Tellerrand, Mitgründer des LED, steht für das Motto «global denken, lokal handeln». Als Vereinsmitglied vertrete ich diesen Sitz im Stiftungsrat, und genau dieser Ansatz entspricht meiner Überzeugung. Ich sehe meine Rolle darin, Brücken zu schlagen zwischen operativer Arbeit vor Ort und der langfristigen Wirkung, die der LED anstrebt.
Welche Werte leiten Sie dabei?
In meiner Arbeit habe ich einen grundlegenden Wandel in der Entwicklungszusammenarbeit erlebt, weg von einem paternalistischen Charity-Ansatz hin zu echter Partnerschaft auf Augenhöhe.
Ich bin überzeugt, dass es in der Entwicklungszusammenarbeit darum geht, Chancen zu ermöglichen und nicht Lösungen vorzugeben. Wo und wie diese Chancen genutzt werden, sollte auf Augenhöhe diskutiert und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit umgesetzt werden. Nicht wir bestimmen die Richtung, sondern wir schaffen gemeinsam mit unseren Partnern die Voraussetzungen, damit lokales Wissen und lokale Expertise zur Entfaltung kommen können.
Seit zwei Jahren arbeite ich zusätzlich mit einer NGO an einem Programm, das genau diesen Ansatz verfolgt. Lokale Organisationen sollen ihr eigenes Wissen umsetzen und werden dabei begleitet und gestärkt. Genau darin sehe ich den eigentlichen Sinn von Entwicklungszusammenarbeit: echte Partnerschaft statt Bevormundung, Befähigung statt Abhängigkeit.
Gab es ein Erlebnis, das Ihr Verständnis besonders geprägt hat?
Ja. Während meiner Arbeit in Haiti, kurz nach dem Erdbeben von 2010, war ich Teil einer Organisation, die in einem betroffenen Gebiet neue Häuser entwickelte. Das gesamte Team – vom Buchhalter bis zum Fahrer – wurde in den Entwicklungsprozess einbezogen.
Bei der Präsentation des Modellhauses kam dann der entscheidende Moment: Das haitianische Team präsentierte die Ergebnisse bis ins kleinste Detail. Der Architekt und das internationale Team sassen einfach im Publikum und hörten zu.
Dieser Moment hat mir eindrücklich gezeigt, dass die besten Lösungen entstehen, wenn lokale Partner ihre Expertise selbstbewusst einbringen können.
Wie sehen Sie die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden Jahren?
Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich weiterentwickeln, weg von einseitiger Unterstützung hin zu echtem Austausch auf Augenhöhe. Dieser Austausch sollte sich zunehmend auch als Süd-Süd- und Süd-Nord-Kooperation gestalten, denn Lernen ist keine Einbahnstrasse.
Zukünftig wird es noch stärker darum gehen, lokale Organisationen zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen und ihre eigene Vision umzusetzen. Sie verfügen über das Wissen, die Netzwerke und die Legitimität, um nachhaltige Veränderungen zu gestalten.
Was möchten Sie im Stiftungsrat des LED besonders fördern?
Mir ist wichtig, dass finanzielle Mittel nicht als Instrument zur Einflussnahme verstanden werden, sondern als Ressource für gemeinsam entwickelte Lösungen. Der LED soll Partnerschaften pflegen, die auf Vertrauen basieren und Entscheidungsmacht teilen.
Konkret bedeutet das für mich Projektentwicklung gemeinsam mit lokalen Organisationen, transparente Entscheidungsprozesse und langfristige Beziehungen statt kurzfristiger Projektlogik. Nur so können Lösungen entstehen, die allen eine Chance auf ein erfülltes Leben bieten – jetzt und für kommende Generationen.
Was hat Sie in Ihrer bisherigen Zeit im Stiftungsrat besonders beeindruckt?
Ich habe gesehen, dass der LED mit seiner langjährigen, gezielten Unterstützung sehr viel erreicht hat. Die neue Strategie wird konsequent umgesetzt, und es zeigt sich, dass der LED als kleine Organisation aus einem kleinen Land ein wichtiger Akteur in den Bereichen Agrarökologie und Berufsbildung geworden ist.
Besonders beeindruckt hat mich, wie kritisch und gewissenhaft die Mitarbeitenden und die Geschäftsführung ihre Arbeit reflektieren. Diese professionelle Haltung ist essenziell für wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit.
Und was war für Sie ein besonderes Highlight der letzten Jahre?
Ein persönliches Highlight war die Entwicklung in Kambodscha, wo der LED seit vier Jahren neue Partnerschaften aufbaut und die Zusammenarbeit mit der Regierung intensiviert. Das zeigt beispielhaft, wie strategische Ausrichtung in der Praxis wirkt.
Ein wichtiger Meilenstein war das Kooperationsabkommen zwischen Liechtenstein und dem LED in Kambodscha, ein bedeutender Schritt für die langfristige Verankerung unserer Arbeit. Ebenso die Erhöhung des EZA-Budgets durch die Regierung. Sie ist nicht nur eine finanzielle Stärkung, sondern auch ein starkes Zeichen des Vertrauens in die Arbeit des LED.
Ganz besonders berührt hat mich das 60-jährige Jubiläum des LED. Der Verein Tellerrand hat ein wunderbares Geschenk organisiert, ein Theaterstück der Kreativen Akademie Liechtenstein. Diese kreative und persönliche Geste hat die langjährige Verbundenheit spürbar gemacht.
Vielen Dank für die Einblicke!