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06. Juni 2025

Berufsfähigkeit stärken – gezielt, partnerschaftlich, wirkungsvoll

Seit März 2022 koordiniert Pius Frick das Länderprogramm des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes (LED) in Kambodscha. Im Interview erklärt er, warum gezielte Berufsbildung entscheidend für junge Menschen ist, was Liechtenstein dabei einbringt – und wie die Arbeit vor Ort konkret Wirkung entfaltet.

 

Pius, was genau ist deine Aufgabe in Kambodscha?

Ich leite das LED Länderbüro in Phnom Penh. Gemeinsam mit lokalen Partnern baue ich ein Portfolio von Berufsbildungsprojekten auf, das auf die Bedürfnisse des Landes abgestimmt ist. Das LED Landesprogramm für Kambodscha dient mir dazu als Leitlinie. In Absprache mit zuständigen Fachministerien sowie mit Organisationen der Wirtschaft und gemeinsam mit kompetenten Organisationen gilt es, Projekte zu entwickeln, welche die Berufsbildung verbessern. Dazu gehört auch ein regelmässiger Austausch mit anderen Gebern und Akteuren der Berufsbildung. Ein grosser Teil meiner Arbeit ist deshalb Koordinationsarbeit.

 

Warum liegt der Fokus auf Berufsbildung?

Weil sie unabdingbar für die sozial und wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist. Das Land hat eine sehr junge Bevölkerung – das Durchschnittsalter liegt bei rund 26 Jahren (in Liechtenstein liegt dieser Wert bei 44 Jahren). Jedes Jahr kommen hunderttausende Jugendliche ins berufsfähige Alter. Doch viele von ihnen haben weder die Grundschule, noch eine Berufsbildung abgeschlossen. Die Wirtschaft ist stark auf Niedriglohnbereiche ausgerichtet. Für eine Diversifizierung hin zu mehr Wertschöpfung braucht es qualifizierte Fachleute. Die nationale Entwicklungsstrategie legt deshalb viel Aufmerksamkeit auf Bildung und Berufsbildung.  

 

Hinzu kommt: Das Berufsbildungssystem ist noch relativ neu. Nach dem Genozid und der lange anhaltenden Phase von Unsicherheit durch nach wie vor bestehende Khmer Rouge Verbände entstand eine systematische Berufsbildung erst ab etwa der Jahrtausendwende. Wie die Bildung so ist auch die Berufsbildung nach wie vor auf einem erschreckend tiefen Niveau. Das zementiert bestehende Ungleichheiten. Denn vor allem Kinder wirtschaftlich schwacher Familien brechen grösstenteils die Grundbildung frühzeitig ab und haben dadurch auch kaum Zugang zu Berufsbildung. Sie haben somit wenig Chancen aus dem generationsübergreifenden Teufelskreis der Armut auszubrechen. Wer in einer armen Familie geboren ist, bleibt wahrscheinlich arm.

 

Wie sehen diese Ungleichheiten aus?

Es gibt einen doppelten Graben: zwischen Stadt und Land – und zwischen den Geschlechtern. In den Städten ist der Zugang zu Bildung, Berufsbildung und die digitale Infrastruktur besser. Aber natürlich gibt es auch Benachteiligte und Arme in den Städten. Aber in den ländlichen Regionen ist das Angebot generell nicht nur geringer sondern auch von tieferer Qualität. Mädchen und junge Frauen sind in technischen Berufen stark untervertreten. Technik und Digitalisierung gelten vielerorts noch als Männersache. Digitale Fertigkeiten werden jedoch immer wichtiger in der Arbeitswelt. Daher werden diejenigen, die ohnehin schon benachteiligt sind, es zusätzlich schwer haben, in bessere Jobs zu kommen. Viele verdingen sich als Niedriglohn-FliessbandarbeiterInnen und arbeiten unter oft schwierigen Bedingungen. Arbeit gibt es in Kambodscha – aber viele Jobs reichen grad mal fürs Überleben, aber nicht für ein würdiges Leben. Tatsächlich sind ein grosser Teile der Menschen als „working poor“ zu bezeichnen. Sie liegen zwar grad oberhalb der statistischen Armutsgrenze, aber sie sind Teil der grossen Masse der verletzlichen Gruppe.

 

Welche Themen bearbeitet ihr konkret?

Unsere drei Schwerpunkte sind: Berufsbildung für die Energiewende, für den Tourismus und für die digitale Transformation. Alle diese Bereiche sind sehr dynamisch und vielversprechend. Auch ist uns wichtig, Berufsbildung für Berufszweige zu fördern, die ein würdiges Einkommen ermöglichen.

Der Energiesektor steht vor grossen Herausforderungen. Der Stromverbrauch des Landes hat sich in den letzten fünfzehn Jahren versiebenfacht. Die Regierung ist bestrebt, die grossen Firmen zu mehr Energieeffizienz zu verpflichten und den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen. Für eine nachhaltige Energiezukunft wird es Fachkräfte brauchen. Der Tourismus ist der drittgrösste Arbeitgeber und bietet auch für Frauen Perspektiven – vor allem auch ausserhalb der Ballungszentren, wo Jobs rarer sind. Bei digitalen Kompetenzen geht es darum, Teilhabe für alle zu ermöglichen.

 

Wie zeigt sich der Wille zur Veränderung vor Ort?

Ein gutes Beispiel ist die PISA-Studie. Kambodscha hat – als eines der wenigen Länder des globalen Südens – bereits zweimal an der Studie teilgenommen. Das Land hat die schlechtesten Werte aller teilnehmenden Länder in Lesen und Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaft. Die Ergebnisse waren ernüchternd, aber wichtig. Sie zeigen auf, wo das Bildungssystem steht. Der Bildungsminister will Reformen. Auch im Arbeitsministerium gibt es Reformwillen. Das ist eine gute Voraussetzung. Doch die Herausforderungen sind riesig, die Mittel gering und die Zahl der Fachleute sehr begrenzt.

 

Wie arbeitet der LED vor Ort?

Ich denke es ist wichtig zu verstehen, dass der LED nicht einfach Projekte finanziert, die uns vorgelegt werden. Wir arbeiten aktiv bei der konzeptionellen Planung der Vorhaben mit, stellen sicher, dass sie mit den Zielen der Sektorstrategien des Landes übereinstimmen. Wir identifizieren Umsetzungspartner, welche über relevante Expertise, Erfahrung und das notwendige Netzwerk haben. Und natürlich begleiten wir die Umsetzung fachlich und administrativ. Viele Geber haben, allein schon aufgrund ihrer Grösse eine gewisse Distanz zu den von ihnen finanzierten Projekten. Der LED versucht nah den Projekten zu bleiben und strategische Partnerschaften aufzubauen.

 

Das ist auch einer der Grundsätze der LED-Strategie 2023–2026: Wir wollen mittels Fokussierung und Aufbau von Fachkompetenz mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine möglichst gute Wirkung entfalten. Dabei berücksichtigen wir die Prinzipien Chancengleichheit, Gendergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung der Partnerländer.

 

Was bringt diese Arbeit Liechtenstein?

Sie zeigt, dass auch ein kleines Land wie Liechtenstein einen bedeutenden Beitrag leisten kann – wenn es gezielt, partnerschaftlich und mit Fachwissen handelt. Wir stärken nicht nur Strukturen in Kambodscha, sondern auch das Profil Liechtensteins als verlässlicher, kompetenter und engagierter Partner der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Als Geber ist der LED ein Gesprächspartner für staatliche und wirtschaftliche Partner. Das ist Sichtbarkeit, die viel wichtiger ist als die übliche Sichtbarkeit innerhalb von Projekten.

 

Was motiviert dich persönlich?

Die Energie der jungen Menschen. Ihr Wille, trotz widriger Umstände vorwärtszuschauen und sich eine Zukunft aufzubauen. Die Zusammenarbeit mit engagierten Partnern, Lehrpersonen, und Ministerien. Die Arbeit ist nicht immer einfach – manchmal dauern Prozesse sehr lange. Aber das ist nicht nur in Kambodscha so sondern auch bei uns. Da wir in den Projekten oft Zeitdruck haben, kann das auch frustrierend sein. Aber wenn Bewegung entsteht, geht es oft schnell. Das mitzuerleben, ist unglaublich erfüllend.

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